Tiefe Trauer um Sachsens DLRG-(Mit-)Gründer und Visionär sowie um "heimlichen" Lebensretter-Chef in Pirna: Norbert Kentsch im Alter von 63 Jahren unerwartet verstorben 

Menschen in Ertrinkungsnot aus dem Wasser zu retten, darum drehte sich das Wirken von Norbert Kentsch – Mehr als 45 Jahre seines Lebens: zunächst ausschließlich ehrenamtlich, später auch beruflich. Unerwartet ist der Mitgründer des DLRG-Landesverbandes Sachsen und des DLRG-Bezirkes „Obere Elbe“ Pirna (Sächsische Schweiz) am 21. Januar 2020 im Alter von nur 63 Jahren verstorben. Rettungsschwimmer aus ganz Sachsen und darüber hinaus trauern um ihn. 

Dresden/Pirna. Mehr als 45 Jahre seines Lebens hat Norbert Kentsch der Wasserrettung gewidmet. Am 21. Januar 2020 ist er unerwartet im Alter von 63 Jahren unerwartet verstorben. Er war nach der Wiedervereinigung Deutschlands einer der Wegbereiter der DLRG in Sachsen und in der Region Sächsische Schweiz – der Heidenauer Norbert Kentsch, der in den zurückliegenden 18 Jahren in Pirna wohnte. Nach der Wende war er „treibende Kraft“, nachdem er 1990 Gleichgesinnte um sich gesammelt hatte, um während der Euphorie des Neuanfanges in Ostdeutschland den Wasserrettungsdienst neu aufzustellen. Kentsch gehörte zu denjenigen, die im Freistaat Sachsen nach dem politischen Umschwung im Nachwendejahr die 1913 in Leipzig gegründete DLRG am 10. November 1990 mit dem Landesverband Sachsen (heute mehr als 3500 Mitglieder) neu ins Leben riefen.

Zehn Tage später hoben Kentsch und seine Mitstreiter in Pirna den DLRG-Bezirk „Obere Elbe“ aus der Taufe. Mit seinen Visionen hätte er die Richtung vorgegeben, berichten die Macher von damals. „Zunächst war er etwas reserviert. Er war sich damals nicht sicher, ob die Pirnaer das alles, was wir auf Landesebene so vor hatten, mittragen würden und wie sie reagieren“, erinnert sich der erste Nachwende-Präsident Steffen Hausch. „Er war uns immer viele Schritte voraus“, sagen Pirnaer Weggefährten von damals. 

In dem Mietshaus in Heidenau, in dem er damals auch wohnte, hatte der LV nach seiner Gründung die erste Geschäftsstelle überhaupt – gut drei Jahre lang. Er brauchte nur die Treppe heruntergehen. Im LV Sachsen durchlief er ehren- und hauptamtlich jede Ebene, die die Satzung hergibt.  Nur eins war nie sein Ding: In die erste Reihe zu treten oder gar den Präsidenten-Posten einzunehmen. Er führte lieber die Geschäfte im Hintergrund und war quasi der "heimliche" Chef. Das sowohl auf Landesebene als auch auf Bezirksebene. Im Landesverband war er mit der Gründung über Jahre Technischer Leiter und zugleich Vizepräsident. In Pirna führte er als Vize mit dreieinhalb Jahren Unterbrechung zwischen Herbst 2008 und Frühjahr 2012 die Geschäfte des Vereins im Vorstand. In seinem Heimatverein aber auch auf Landesebene galt er als "Institution" und steter Berater.

Trotz, dass er vor etwa 20 Jahren an schwerer Diabetes erkrankte und dem zuletzt damit verbundenen körperlichen Handicap, ließ er nicht nach, seine übernommenen Aufgaben zu erfüllen und blieb immer am Ball. „Wenn er sonst niemanden hatte, die DLRG war seine Familie“, erklärt Aron Sachse, heute Chef der Pirnaer DLRG. In der Landesgeschäftsstelle arbeitete er bis zuletzt als „Koordinator für Sport & Jugend“, kümmerte sich hauptamtlich um die DLRG-Jugend oder um die Aktionen 50+. 

1968, als Zwölfjähriger, war Norbert Kentsch zunächst zum Schwimmen gekommen. Er trainierte bei der BSG Motor Heidenau, die damals im Albert-Schwarz-Bad stationiert war. „Er war ein super Schmetterlingsschwimmer“, erinnert sich Trainer Peter Klimek (82). In der Sektion war es damals Usus, dass die Schwimmer, wenn sie 17 Jahre alt waren, auch Rettungsschwimmer werden. Das tat auch Kentsch. 1975 legte er seine Prüfung ab. Das, was dabei an Fähigkeiten und Fertigkeiten gebraucht wird, begeisterte ihn als junger Mann. Er hatte sein Faible für die Wasserrettung entdeckt und sich dieser seitdem voll und ganz verschrieben. Es dauerte nicht lange und er übernahm 1977 im Alter von 21 Jahren leitende Funktionen, wurde Wettkampfbetreuer und Übungsleiter - damals zu DDR-Zeiten beim Wasserrettungsdienst (WRD), der als Sparte bzw. Grundorganisation generell beim staatlichen Deutschen Roten Kreuz (DRK) angesiedelt war. „Norbert saß mit in der Fachkommission für Wettkämpfe beim WRD im Bezirkskomitee des DRK der DDR“, erinnert sich Steffen Hausch. Die richtete Wettkämpfe im damaligen Bezirk Dresden aus, delegierte die Besten zu DDR-Meisterschaften. 

Über viele Jahre füllte die Wasserrettung seine Freizeit aus. Norbert Kentsch hatte begonnen, Informatik und Mathematik zu studieren. Bis kurz nach der Wende hatte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rechenzentrum an der Technischen Universität Dresden gearbeitet. 

Spezialdienste wie eben die Wasserrettung seien „schon immer ein Stiefkind innerhalb des DRK“ gewesen, hatte Norbert Kentsch während dem Umbruch verlauten lassen. In der Wendezeit fehlte ihm und seinen Mitstreitern eine Konzeption, wie mit der Sektion weiter umgegangen werden solle. „Wenn ihr noch aktiv sein wollt, müsst ihr euch selber kümmern“, soll es von offizieller Stelle geheißen haben. Die damals in Pirna verbliebenen etwa 40 Rettungsschwimmer nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand und organisierten sich neu. Parallel bemühten sich der Meißener Steffen Hausch, Kentsch und andere nach der Wende in Sachsen Interessierte für die Arbeit im Wasserrettungsdienst unter dem Dach der DLRG zusammenzuführen. „Norbert kannte damals Altersveteranen, die noch bei der DLRG in Pirna, die dort in den 1930er gegründet worden sein muss, aktiv waren“, berichtet Hausch. „Wir sind durch das Land getingelt und haben Leute gesucht, die bei der DLRG mitmachen wollen.“

Interessierte mit und um Kentsch hatten sich 1990 drei Wochen lang in Lübeck Travemünde (Schleswig-Holstein) angeschaut, wie der Wachdienst läuft. Am Ostseestrand ist sowohl die DRK-Wasserwacht als auch die DLRG aktiv. Nach vielen Gesprächen und reichlichen Überlegungen entschieden sich die Pirnaer aber auch andere örtlichen Gliederungen für eine Perspektive bei der DLRG – „weil wir gesehen haben, was alles funktionieren kann, wenn der Verein selbst die Initiative ergreift.“ 

Schon bald nach der Wiedervereinigung musste sich Norbert Kentsch beruflich neu orientieren, machte sein Hobby zum Beruf: Er hatte sich zum Schwimmmeister qualifiziert und als solcher seit 1992 in Pirna gearbeitet, zumeist im Copitzer Naherholungszentrum. Dort war er bis zum Juni 2004 bei den Stadtwerken Pirna (SWP), die die Pirnaer Bäder 1999 übernommen hatten, angestellt. (Danach war er für kurze Zeit in der Toskana Therme Bad Schandau.) In den zurückliegenden mehr als 14 Jahren managte und koordinierte er beim DLRG-Landesverband in Dresden hauptamtlich die Jugend und sorgte sich u.a. darum, dass der Nachwuchs gefördert wird. Wettbewerbe im Rettungssport mit allem, was dazu gehört, waren sein Steckenpferd. Er bemühte er sich darum, dass Talente gefördert werden. Erfolge bei Meisterschaften bleiben nicht aus. Die heute 35-jährige Pirnaerin Susanne Bagdahn-Wegner holte beispielsweise im Jahr 2000 den Vize-Junioreneuropameister-Titel und wurde 2001 Deutsche DLRG-Meisterin. Erst Mitte Oktober kehrte die Staffel der 13- und 14-jährigen Jungen als Sieger von den Deutschen Meisterschaften heim. 

Im Juli 1995 sorgte Norbert Kentsch mit seinen Leuten für eine Sternstunde für all jene, die - wie früher - gern in der Elbe baden, sich in der Strömung treiben lassen und das Elbsandsteingebirge aus dem Blickwinkel der Wasseroberfläche erleben. Im Team organisierte er für Wasserratten das erste öffentliche Elbeschwimmen in der Sächsischen Schweiz. Die Initialzündung dafür war ihm bei einer Kontrollfahrt auf der Elbe gekommen. Die Schiffsschraube eines Rettungsbootes hatte den Geist aufgegeben. Der „Auserwählte“, der ins Wasser steigen musste, um die Havarie zu beheben, hatte festgestellt, dass der Fluss „gar nicht mehr so dreckig“ ist. Inzwischen ist das Schwimmen in der Elbe an jedem zweiten Sonnabend im Juli Tradition. 

In diesem Sommer steht nun die 25-jährige Auflage an. Bereits im Vorjahr hatte Kentsch überlegt, was man aus dem Anlass des Jubiläums machen könne. Seine Idee: Eine auserwählte Teilnehmerzahl darf ab der tschechischen Grenze bis nach Stadt Wehlen schwimmen… Der Verein hält daran fest, das Elbeschwimmen in seinem Sinne durchziehen. Aber nicht nur das: „Wir werden sein Vermächtnis und seine außerordentlichen Dienste in Ehren halten. Sein Einsatz für die DLRG bleibt unvergessen“, sagt Aron Sachse. 

Neben dem Rettungsschwimmen hatte Norbert Kentsch auch ein Herz für den Volleyball. Erst spielte er viele Jahre aktiv - in den 1980er bei Chemie Dohna, später dann bis 2001 beim SSV Heidenau. Er gehörte jahrelang zum Kreisvorstand Sächsische Schweiz - Osterzgebirge - unter diesem Dach sind rund 30 Vereine aus den beiden Altkreisen organisiert - und war ab September 2008 Finanzwart.

von Daniel Förster